Dies ist ein wundervoller Moment. Seien Sie herzlich willkommen. Es ist eine Freude, ein Privileg und eine Ehre heute Abend hier bei Ihnen sein zu können. Ich bin wirklich berührt von diesem Moment in diesem unseren Haus. Ich will an einen bekannten Song erinnern: Das ist unser Haus. Und ihr kriegt uns hier nicht raus. (Ton Steine Scherben)
Es ist wichtig, hier mit Ihnen zusammen zu kommen, zu diesem Ereignis, aus diesem glamourösen Anlass, den wir am Sonntag erleben werden. Aber es ist auch wichtig, hier zusammen zu kommen, in diesem Haus, in diesem Raum, wo Thomas Mann arbeitete. Die Wände sprechen mit uns, die Bücher erzählen uns Geschichten und wir bekommen ein Gespür für die Tragik des Exils. Und ich denke, viele werden mir recht geben: Exil ist tragisch.
Da ich aus Augsburg komme, erlauben Sie mir hier Brecht zu zitieren. Er war auch hier, und will eine seiner Hollywood-Elegien zitieren:
Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen
gehe ich auf den Markt, wo Lügen verkauft werden.
Hoffnungsvoll reihe ich mich ein zwischen die Verkäufer.
Aber an diesem Ort, in diesem Haus spüren wir auch die Bedeutung und die Macht der Literatur, der Musik, des Films. Sie sind die Stimmen unserer Demokratie. Wir brauchen sie nicht nur in guten Zeiten, wir brauchen sie vor allem jetzt, in dieser Zeit, die von Krisen und Katastrophen gezeichnet ist und vom Krieg.
In diesen Tagen vor 80 Jahren, im März 1943, hat Thomas Mann hier in Pacific Palisades eine seiner berühmten 55 Reden an die „Deutschen Hörer“ geschrieben. Wie alle, von BBC ausgestrahlten Sendungen war auch diese Radioansprache eine Intervention des Literaturnobelpreisträgers gegen den Terror des Nationalsozialismus und gegen den vom NS-Regime in die Welt getragenen Krieg. Und zugleich waren seine Reden Thomas Manns Versuch, die deutsche Kultur vor dem Nationalsozialismus zu retten, zumindest zu retten, was von ihr damals noch übrig war.
Der Zweite Weltkrieg war der mörderischste aller Kriege, aber mörderisch sind sie immer. Die bis dahin bitterste und bis heute berühmteste Anklage des modernen Krieges ist 1929 erschienen: „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque, dem international meistgelesenen Autor deutscher Sprache des 20. Jahrhunderts. Remarque und Thomas Mann waren Leidensgenossen: Beide wurden von den Nazis ins US-Exil vertrieben, ihre Bücher in Deutschland verbrannt.
Beide wurden vom nationalsozialistischen Regime verfolgt, aber sein größter Hass galt dem Kriegsgegner Remarque, der seit Veröffentlichung des Romans berühmt und seit dessen Verfilmung 1939 von Lewis Milestone weltberühmt war. Diesen Erfolg haben ihm die Nazis nicht verziehen. Remarques Schwester Elfriede Scholz hat ihn mit ihrem Leben bezahlt. Sie war eine Gegnerin des Terror-Regimes, wurde vor 80 Jahren vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet. Aber um wen und um was es eigentlich ging, hatte Roland Freisler in der Verhandlung klargemacht: „Ihr Bruder ist uns entwischt, Sie werden uns nicht entwischen.“
Meine Damen und Herren, „Im Westen nichts Neues“ hat leider bis heute von seiner Aktualität nichts eingebüßt. Traurig genug. Im Roman heißt es: „Trommelfeuer, Sperrfeuer, Gardinenfeuer, Minen, Gas, Tanks, Maschinengewehre, Handgranaten - Worte, Worte, Worte, aber sie umfassen das Grauen der Welt.“ Diese Worte lesen wir täglich und sehen die entsetzlichen Bilder, seit Putins Russland seinen mörderischen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. Es ist ebenso ein Propagandakrieg, den wir erleben. Und Propaganda ist eine fürchterliche Waffe. Es ist ebenso ein Krieg gegen die Kultur. Denkmale, Archive, Museen, Theater und Kino werden angegriffen und zerstört. Warum? Weil Putin die kulturelle Identität der Ukraine zerstören will. Umso wichtiger war die Neuverfilmung dieses Romans.
Ich habe sie gesehen, in einer Aufführung in München während der Sicherheitskonferenz, zusammen mit jungen Repräsentanten der Konferenz im Amerika Haus. Ein paar Jahrzehnte vorher gehörte ich noch zu den Demonstranten gegen die Sicherheitskonferenz vor dem Amerika Haus. Jetzt gehörte ich also zu den Gästen und ich war tief beeindruckt. Ich war berührt und erschüttert von der Präsenz, dem Dreck, der Gnadenlosigkeit des Krieges. Zurück im Bayerischen Hof, wo die Sicherheitskonferenz stattfand, traf ich auf zwei hochrangige Offiziere, die sich über ihr Erlebnisse in Afghanistan und Irak unterhielten. Einer sagte, ich habe meinen Eltern nie erzählt, dass ich in einem Sonderkommando im Irak war. Dann begann er zu weinen, der andere Offizier ebenso und schließlich weinten wir alle drei. Und in diesem Moment war uns klar, wie wichtig es ist, für die Demokratie zu kämpfen, gegen Autokraten und auch gegen die Feinde der Demokratie in unseren eigenen Ländern.
Und ich bin – ich gestehe es – begeistert - begeistert davon, dass deutschen Filmemachern diese ebenso ergreifende wie bedrückende Produktion gelungen ist, begeistert davon, dass sie enormen internationalen Erfolg damit haben, und natürlich bin ich auch begeistert von den neun Oscar-Nominierungen. Zum ersten Mal wurde ein deutscher Film in der Königsklasse „Bester Film“ nominiert. Allein das ist phänomenal. Und ich gratuliere von ganzem Herzen allen, die an dem Film mitgewirkt haben. Wenn ich hier den Produzenten Malte Grunert besonders erwähne, dann auch deshalb, weil seine Schwester Marlene, eine der diesjährigen Stipendiatinnen und hervorragende Journalistin, unter uns ist.
Es ist mir eine besondere Freude, hier und heute in Pacific Palisades mit ihnen zu feiern. Seit Thomas und Katja Manns Jahren in diesem Haus ist es nicht nur ein Ort der Erinnerungen an das Exil, es ist auch ein Ort des Nachdenkens und der Diskussion über gemeinsame Herausforderungen unserer Zeit. Und es gibt eine Menge davon: Die Klimakrise, der Kampf der mutigen couragierten iranischen Frauen und ihrer Mitstreiter, unter ihnen auch Filmemacher wie Jafar Panahi und Mohammad Rasolouf, für Freiheit und Selbstbestimmung. Und eine der größten Herausforderungen ist wieder der Krieg, und der Anti-Kriegs-Film „Im Westen nichts Neues“, der uns hier zusammengeführt hat, die beste Antwort, die Kunst und Kultur auf diese Herausforderung geben können.
Zum Schluss will ich noch eine persönliche Geschichte erzählen, die mich und meine Familie mit diesem Ort verbindet. Einige Jahrzehnte zuvor war mein Lieblingsonkel, Erwin Roth, hier in Pacific Palisades Deutscher Konsul und er erzählte von Marta Feuchtwanger, die in seinem Haus zu Gast war. Er erzählte von den vielen herausragenden Künstlern, die von den Nationalsozialisten aus Deutschland vertrieben, hierhergekommen waren. Leider habe ich es damals versäumt, ihn zu besuchen. Doch nun, schließlich, bin ich hier. Und ich bin glücklich, dass ich hier bin.