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Eröffnung der Ausstellung „Flashes of Memory

Thema: Rede

Montag, 27. März 2023

Die Sonderausstellung „Flashes of Memory“ widmet sich Fotografien des Holocausts und stellt den Bildern jüdischer Fotografen solche deutscher Antisemiten und NS-Propagandistinnen gegenüber. Sie zeige beides, den geweiteten wie den verengten Horizont, Aufklärung und Propaganda, sagte die Kulturstaatsministerin bei der Eröffnung. „Diese Perspektivwechsel, diese Spiegelungen haben einen aufklärerischen Effekt“, so Claudia Roth.

Wir sehen, was wir wahrnehmen, immer mit den eigenen Augen, in einem einzigen, unwiederholbaren Moment, in den wir gestellt sind, aus unserer eigenen, durch Erfahrung geprägten Perspektive. Die Fotografie befreit uns aus dieser Lage, sie befreit unseren Blick, sie zeigt uns andere, neue Perspektiven, sie erweitert unser Blickfeld, unseren Horizont. Doch sie kann unseren Blick auch manipulieren. Sie kann ihn absichtsvoll und gezielt auf eine einzige Perspektive verengen. Diese so wichtige Ausstellung zeigt beides, den geweiteten wie den verengten Horizont, Aufklärung und Propaganda.

Ich freue mich sehr, sie heute mit eröffnen zu dürfen. Und ich bin den Verantwortlichen der Internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin und dem Freundeskreis Yad Vashem dankbar dafür, dass Sie es möglich gemacht haben, diese Ausstellung nach Deutschland, nach Berlin, zu uns zu holen.

Es ist eine einzigartige Ausstellung. Einzigartig in dem, was sie zeigt, und in dem, was sie auslöst. Ihr Thema ist die Shoa. Was wir sehen, sind tatsächlich Flashes of Memory, aufblitzende Augenblicke in den Fotografien unterschiedlicher Personen, aufgenommen in unterschiedlicher Absicht und wechselnden Situationen. Dabei beginnt die Ausstellung nicht mit dem Ende.

Sie führt uns nicht geradewegs in die befreiten Konzentrations- und Vernichtungslager, sondern lenkt unseren Blick auf die Anfänge, auf den alltäglichen, sich stetig radikalisierenden Antisemitismus. Sie zeigt uns ein Verbrechen, das bei hellem Tageslicht, eingefangen von Film- und Fotokameras, inmitten einer Gesellschaft begangen wird, die sich als zivilisiert begreift.

Wir sehen Leni Riefenstahl bei der Arbeit an ihrem Olympia-Film. Mit Blick auf die Gegenwart stellt diese Ausstellung für mich deshalb auch die Frage, was Propaganda vermag? Feierte Leni Riefenstahl in ihrem Olympiafilm 1936 nur – wie sie später behaupten wird – die Schönheit selbst, den perfekten Körperbau eines „arischen“ Athleten? Tatsächlich liefert Riefenstahl dem Nationalsozialismus ein ästhetisches Ideal.

Und dieses Ideal dient der Vorbereitung eines Verbrechens, denn zeitgleich lässt Julius Streicher Alben mit dem Titel „Jüdische Verbrecher“ anfertigen und überreicht sie dem Führer „im Kampf gegen den Weltfeind Juda“. Es werden Jüdinnen und Juden öffentlich gedemütigt und ausgegrenzt. Es wird die Reinhaltung einer arischen Rasse von allem Jüdischen verlangt. Dieser Popanz eines angeblich artfremden Feindes war allgegenwärtig.

Und deshalb schützen weder Dummheit noch Idealismus Leni Riefenstahl selbst oder ihre Filme vor dem Urteil, nationalsozialistischer Propaganda gedient zu haben. Der Ausstellung gelingt es, das deutlich zu machen, indem sie unterschiedliche Perspektiven zeitgleich öffnet.

Dieses Kaleidoskop von Fotografien, aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufgenommen, aus der Perspektive deutscher Antisemiten und nationalsozialistischer Propagandistinnen, aber auch aus der Perspektive jüdischer Fotografen wie Mendel Grossman und Zvi Kadushin, die Verfolgung, Ausgrenzung und das Verbrechen der Ghettos dokumentierten, aber auch die Würde des einzelnen Menschen, der verfolgt und ausgegrenzt wurde. Diese Perspektivwechsel, diese Spiegelungen haben einen aufklärerischen Effekt.

Und schließlich zeigt „Flashes of Memory“ auch Aufnahmen, die viele von uns kennen: Die Fotografien der alliierten Befreier, die 1945 in den Konzentrations- und Vernichtungslagern entstanden: Es sind Filme und Fotografien, die zu Zeitzeugen wurden. Wer sie gesehen hat, wird sie überall und jederzeit wiederkennen. Sie sind nicht zu vergessen. Viele dienten als Beweismittel in den Prozessen von Nürnberg, Jerusalem und Frankfurt am Main.

Diese Bilder erinnern mich an einen Satz des sowjetischen Kameramanns Alexander Woronzow, der am 27. Januar 1945 die Befreiung von Auschwitz in einem Filmdokument festhielt. Als er Jahrzehnte später von dem sprach, was er an diesem Tag durch das Objektiv seiner Kamera gesehen hatte, sagte er: „Über diese Erinnerung hat die Zeit keine Macht. Es ist eine Aussage, die Woronzow mit seiner Kamera beglaubigt hat.

Seine Bilder sprechen nicht nur für ihn, für sein Erleben und seine Erinnerung, sondern für unzählige Menschen, für Menschen die Unbeschreibliches erlebt haben, aber auch für all diejenigen, die seine Bilder, lange nachdem sie entstanden sind, gesehen und niemals wieder vergessen haben.

Wir brauchen diese Bilder. Unsere Erinnerung lebt in ihnen. Doch wir brauchen sie nicht allein, um entschlüsseln zu können, was geschehen ist. Wir brauchen Ausstellungen wie diese, die uns helfen, die Muster der Vergangenheit in der Gegenwart erkennen und lesen zu können.

Danke für diese Ausstellung.

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