- Es gilt das gesprochene Wort. –
Bitte begrüßen Sie mit mir den Ehrengast des heutigen Abends, die Mutter von Prof. Dr. Bonaventure Ndikung, Frau Theresia Lum Soh! Sehr geehrte, liebe Frau Lum Soh, erst vor wenigen Tagen haben Sie ihr Visum für Deutschland erhalten, sich ins Flugzeug gesetzt und sind heute Abend hier, um mit uns den Beginn der Intendanz Ihres Sohnes zu feiern. Wir alle sind wirklich sehr geehrt durch Ihre Anwesenheit! Und: Wir sind mit Ihnen vereint in der großen Freude, diesen Tag gemeinsam erleben zu können! Ein Tag, der beeindruckend ist, berührend, bewegend.
Liebe Frau Lum Soh, ich danke Ihnen, dass Sie Ihren Sohn als jungen Mann nach Deutschland geschickt haben, um hier sein Studium zu absolvieren, um zu arbeiten, um seinen Weg zu finden. Und wir danken Ihnen für Ihre „blessings“, für Ihren Segen, dass er sich seiner Berufung, der Kunst, widmen konnte.
Mir wurde von einer schönen Geschichte berichtet, die Professor Ndikung in der Corona-Zeit in seinem phonic diary, seinem Klang-Tagebuch erzählt: Als er Ihnen, seiner Mutter, nämlich vor knapp zehn Jahren endlich zu sagen wagte – ich zitiere – „I am done with the sciences.“ Und Ihre Antwort war, so sagt es das Tagebuch: „I had expected this earlier. You have done all we expected from you. You have my blessings“.
Vielen Dank an Sie, sehr geehrte Frau Lum Soh! Vielen Dank an alle Mütter, und die Väter auch, die ihre Kinder unterstützen, ihren Weg zu finden und ihrer Berufung zu folgen!
Liebe Anwesende, der Weg des Schülers aus Kamerun zum Biotechniker in Deutschland, zum Kurator und heute zum Intendanten des Hauses der Kulturen der Welt war schwierig. Es war ein Weg mit einem Auftrag der Familie. In der Hoffnung des Gelingens. Und in der Gefahr der Verletzung. Denn auch das gehört zum heutigen Tag: Dass Professor Ndikung den Rassismus in unserem Land am eigenen Leib erlebt hat. Dass er Gewalt und Ausgrenzung erfahren hat.
Sie haben sich 2006 entschieden, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Wir sind Ihnen dankbar dafür. Denn die Demokratie lebt davon, dass immer mehr Menschen an ihr teilhaben. Und wenn Sie mir diesen auf den ersten Blick so gar nicht kulturpolitischen Satz erlauben: Ich möchte, dass Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt bei uns haben, die hier leben, arbeiten und lieben, die Teil unserer Gesellschaft sind, unser Land selbstverständlich auch demokratisch mitgestalten können, weil es auch ihr Land ist. Und dass Menschen nicht gezwungen werden, ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit aufzugeben, um deutsche Staatsbürger:innen werden zu können. Dass sie nicht gezwungen werden, ihre Wurzeln zu kappen, sondern dass sie ihre ganze Identität in Respekt und Anerkennung leben können.
Was ich eben für die Demokratie im Allgemeinen sagte, das gilt auch für die Kultur dieses Landes und das gilt für die Kulturpolitik, für die ich Verantwortung trage: Wir wollen, dass immer mehr Menschen an ihr teilhaben, und die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts ist auch dafür ein richtiger Schritt. Ich möchte, dass die verschiedenen Talente und Träume, Klänge und Körper, aber auch die Verletzungen und Traumata Platz finden in unserer Kultur.
Und ich weiß, dass aus Verletzungen oft nicht nur Trauer, sondern auch Wut erwächst. Ich weiß das für aktuelle Verletzungen, ich weiß das für die Verletzungen der Vergangenheit. Sie sind nicht vergessen. Sie leben fort in uns. Sie prägen als Traumata ganze Gesellschaften. Das gilt für Rassismus wie Antisemitismus, für jede Art von Menschenfeindlichkeit. Das gilt für das einzigartige und unvergleichliche Menschheitsverbrechen der Deutschen, die Shoah. Das gilt für den Imperialismus und Kolonialismus Europas, auch unseren eigenen.
Als Sie Deutscher geworden sind, sehr geehrter Herr Ndikung, haben Sie sich im wörtlichen und im übertragenen Sinne eingeschrieben in diese Geschichte. Sie sind Teil einer Täternation geworden. Ebenso wie Sie als Schwarzer Deutscher Opfer des Rassismus in diesem Land waren und Kamerun Teil der Kolonialgeschichte Deutschlands ist. Mit ihrer Berufung zum Intendanten einer Bundeseinrichtung sind Sie einen weiteren Schritt gegangen. Sie sind aus der Unabhängigkeit von Savvy herausgetreten und in die staatlich geförderte Kultur eingetreten. Ich habe großen Respekt vor Ihrer Entscheidung. Ich freue mich darüber, und ich darf das an dieser Stelle auch sagen: ich stehe hier in Kontinuität zu meiner Vorgängerin und ich stehe in der Kontinuität zu einer Koalition aller demokratischen Parteien.
Sie sind von Monika Grütters, einer CDU-Staatsministerin in einer Bundesregierung von CDU, CSU und SPD berufen worden. Sie beginnen Ihre Intendanz mit einer grünen Staatsministerin in einer Bundesregierung von SPD, Grünen und FDP, und wenn ich es recht sehe, freut sich auch die Linke mit uns heute. Sei mir herzlich gegrüßt, lieber Klaus Lederer!
Lieber Bonaventure, nehmen Sie dies als einen kulturpolitischen Grundkonsens der demokratischen Parteien in unserem Land mit auf den Weg, und nehmen Sie es als eine Ermutigung!
Aber: Reden wir nicht drum herum, wir wissen alle, dass dieser Konsens gefährdet ist. Um so mehr möchte ich den heutigen Tag nutzen, um ein paar Prinzipen klarzustellen.
Die Kultur unseres Landes lebt von der Kunstfreiheit und davon, dass zu dieser Freiheit auch gehört, dass künstlerische Entscheidungen nicht von außen getroffen werden. Kunst ist politisch, aber es gibt keine politische Entscheidung über die Kunst. Für unsere kulturellen Einrichtungen geht mit dieser Freiheit eine besondere Verantwortung einher. Sie ist sozusagen der Grundkonsens der Förderung. Es ist kein Platz für Antisemitismus, Rassismus und jede Art von Menschenfeindlichkeit. Es ist Platz für Solidarität.
Sie haben es mit James Baldwin formuliert, lieber Bonaventure: „Because they come for you in the morning, they come for me in the evening”. Diese Solidarität, die Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit brauchen wir. Und diese hat eine ganz wichtige Voraussetzung: Alle, alle müssen mittun können und teilhaben können. Das bunte wir Alle. Um es noch einmal zu betonen: Wir brauchen die verschiedenen Lebenswirklichkeiten in unseren Einrichtungen, weil diese unser Denken und unsere Institutionen prägen. Weil sie die Entscheidungen in Jurys und Gremien prägen. Die Ästhetiken und Diskurse. Wir brauchen, um es im Feuilleton-Sprech zu sagen, intersektionale Diversität.
Nur dann können unsere kulturellen Einrichtungen zu den Praxislaboren eines modernen Deutschlands, eines Einwanderungs- und Erinnerungslandes werden. Kurz: zu einer Kulturnation, die diesen Namen verdient. Und damit ist auch klar: Ich lehne Boykotte gegen Menschen oder Menschengruppen ab und wer dafür werben will, mag das tun, aber nicht bei uns. Oder um es anders zu sagen: Wir fördern keine Veranstaltungen, auf denen für den BDS geworben wird oder Ziele des BDS vertreten werden. Und wenn Sie mir diesen persönlichen Satz erlauben: Das Ausgrenzen gerade von Künstlerinnen und Künstlern durch den BDS, durch Boykott und silent boycott, durch Drohungen und oft genug auch durch Gewalt hat in den letzten Jahren erschreckend zugenommen. Wer Menschen boykottiert, weil sie jüdische Israelis oder weil sie Jüdinnen und Juden sind, der handelt antisemitisch, und das darf nicht hingenommen werden. Und noch ein zweites, und auch hier haben wir schon gemeinsam mit Ihnen die Weichen gestellt:
Gerade weil es schwierige, schmerzhafte und gewagte Prozesse sind, wenn Traumata auf Traumata prallen, wenn wir die schwierigen Fragen unserer Gesellschaft erörtern und erleben wollen, brauchen wir gute Prozesse. Sie schützen die Institutionen davor, ratlos vor Konflikten und hilflos vor Anfeindungen zu stehen. Deswegen begrüße ich es ausdrücklich, dass Sie sich, lieber Bonaventure, mit uns auf den Weg gemacht haben, einen code of conduct für ihr Haus zu entwickeln und darüber in den Gremien zu beraten.
Meine Damen und Herren, so viel Politik muss sein, wenn es um das Haus geht, das offen steht für die Kulturen der Welt, und deswegen möchte ich noch eine Einladung überbringen: Wir müssen den Ländern des Globalen Südens zuhören. Wir wollen ihre Kunst hier zeigen und ihre Künstlerinnen und Künstler willkommen heißen. Wir müssen herauskommen aus einer Welt, in der sie die Erfahrungen gemacht haben, dass wir es mit unseren eigenen Werten nicht ehrlich meinen und mit zweierlei Maß messen.
Wir werden nicht immer zustimmen, aber wir wollen diesen Dialog führen in der gemeinsamen Sorge um die eine Welt. Ihr Haus, Sie selbst, lieber Bonaventure, Ihr wunderbares Team, das sich mit Ihnen gemeinsam auf den Weg gemacht hat, sind unsere Hoffnung, dass dieser Dialog gelingen möge.
Ich wünsche dem Haus der Kulturen der Welt, die Kulturen der Welt.
Und ich wünsche uns frohe und traurige, graue und bunte, zornige und zärtliche Kunst. Lassen Sie Ihre Herzen tanzen. Und Ihnen allen den Segen, die blessings von Theresia Lum Soh!