- Es gilt das gesprochene Wort. -
Im Oktober gab es einen neuen globalen Hitzerekord. Damit wird das Jahr 2023 zum heißesten der vergangenen 125.000 Jahre. Und wir spüren das. Wir erleben das in unseren überhitzten Städten, eine Hitze, die mehr und mehr Leben fordert. Wir sehen Bilder von Überschwemmungen, die mit ihrer Zerstörungskraft Tausende Menschen in Libyen töteten; Bilder von heftigen Hitzewellen in Südamerika, von der Jahrhundertdürre in Spanien, die Natur, Mensch und Tier an ihre Grenzen bringen; von der schlimmsten Waldbrandsaison, die Kanada je erlebt hat. Gleichzeitig vollziehen sich Veränderungen in atemberaubender Geschwindigkeit, die wir meist nicht sehen, sondern nur messen können: Gletscher schmelzen ab, lebenswichtige Wasserquellen versiegen, der Meeresspiegel steigt kontinuierlich an, Biodiversität und Artenvielfalt schwinden, das Grundwasser in vielen Regionen der Welt versalzt, sinkt ab oder schwankt stärker und bedroht so die vorhandenen Infrastrukturen von unten. Das passiert auch durch das Auftauen des Permafrosts in den bislang für klimatisch stabil gehaltenen Regionen des Planeten. Schon heute haben wir Millionen Klimavertriebene. Die Zahl der Menschen, die in ihrer Heimat nicht mehr leben können, steigt dramatisch. Und die weltweiten CO2-Emissionen? Die haben 2022 ein Rekordhoch erreicht. Die UN-Klimakonferenz, die heute in Dubai beginnt, wird es uns konkret und drastisch zeigen: Wir sind mitten drin in der Klimakrise – wir als Menschen, wir als Gesellschaft, wir als Kultur. Und deshalb sind wir auch alle gefragt, wenn es darum geht, etwas gegen diese Krise, für die Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder zu tun.
Bertolt Brecht, der Augsburger, den ich sehr verehre und den Sie als Bühnenmenschen ja auch gut kennen, konnte kritischen Situationen im Prinzip sogar etwas abgewinnen. In einem seiner Interviews, in denen er seine Visionen eines zeitgemäßen Theaters erläutert hat, fasste er seine Perspektive zusammen: „Unsere Hoffnung heute ist die Krise!“ Künstlerische Entfaltung sei beinahe gesetzmäßig mit ökonomischem Niedergang verbunden, so seine Überzeugung.
„Unsere Hoffnung heute ist die Krise!“ Zugegeben, soweit würde ich ganz sicher nicht gehen. Ich glaube nicht, dass wir die Krise brauchen, um gute, um nachhaltige Bühnenkunst machen zu können. Aber gleichzeitig lädt Brechts Aussage gerade dazu ein, Hoffnung zu schöpfen. Nach dem Motto: Krisen haben wir im Hier und Jetzt wahrlich genug, lasst uns etwas daraus machen. Im Brecht´schen Sinne ist also genau jetzt Zeit für künstlerische Entfaltung, Zeit für Neues, Zeit für Hoffnung.
Wir brauchen so einen Aufbruch, denn die Herausforderungen für die ökologische Transformation – auch von Kultur und Medien – sind riesig. Die angespannte finanzielle Situation wird es uns – auch das gehört zur Wahrheit – vermutlich nicht einfacher machen in nächster Zeit. Bei den Theatern, bei den Orchestern, die ich besuche, spüre ich aber, dass ein riesengroßes, echtes Interesse, große Offenheit und Engagement für das Thema Nachhaltigkeit vorhanden sind. Der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen wird mehr und mehr zu einem zentralen Thema. Da werden Leitfäden erstellt, wie das Theatre Green Book, die Grüne Bühne und der Eco Rider, es gibt Veranstaltungen wie die „Klimawerkstatt Theater“, wie „Face the Music“, wie das „Orchester des Wandels“ der Bremer Philharmoniker, wie das Klimafestival „endlich“ bei mir in Augsburg vergangenes Jahr. Was dort an Ideen und Initiativen entwickelt wird, ist großartig und ich habe allerhöchsten Respekt davor. Überall in Deutschland macht man sich auf den Weg – auch und besonders hier in Leipzig. Das Gewandhaus und die Oper gehörten zum Beispiel zu den ersten Institutionen, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich zu „Transformationsmanagerinnen und Transformationsmanagern Nachhaltige Kultur“ haben weiterbilden lassen. An der Oper finden derzeit die Proben zur ersten klimaneutralen Opernproduktion statt. Das Bachfest Leipzig schafft eine Kompensation für den CO2-Ausstoß der weltweit anreisenden Festivalgäste durch die Anpflanzung eines 29 Hektar großen neuen Waldes. Leipzig und Dresden haben sich außerdem in der Expertengruppe für den Klimabilanzierungs-Standard eingebracht und entwickeln einen anspruchsvollen CO2-Rechner für die Kulturschaffenden ihrer Region. Hier vor Ort und hier vor, auf und hinter den Bühnen passiert also unfassbar viel. Es ist großartig, solche Pfadfinder zu haben.
Wichtig ist für mich aber auch, Nachhaltigkeit in einem umfassenden Sinn zu verstehen. Eine Nachhaltigkeit, die nicht nur die Produktion und die Aufführung, sondern – so wie es das Bachfest macht – auch die Zuschauerinnen und Zuschauer sowie Zuhörerinnen und Zuhörer einbezieht. Eine Nachhaltigkeit, die auch die soziale Dimension umfasst. Die Pandemie hat uns noch einmal vor Augen geführt, in welch prekärer Lage sich Kulturschaffende oft befinden. Sich auf ein Leben für die Kunst, für das Theater oder die Musik einzulassen, darf aber nicht bedeuten, dafür ein soziales Prekariat zu riskieren. Das ist immer noch zu oft der Fall! Das wollen wir ändern – zum Beispiel, indem wir bei der Gestaltung unserer Förderpolitik Mindesthonorare festlegen.
Ökologische und soziale Nachhaltigkeit gehörten deshalb auch beide zu den Kriterien bei der Vergabe des Theaterpreises des Bundes. Und die Preisträgerinnen und Preisträger belegen auf überzeugende Weise, wie Theater Vorbilder und Wegbereiter zukunftsweisender Entwicklungen sein können. Eines der vier ausgezeichneten Theater kommt übrigens aus Leipzig: das LOFFT. Aber auch bei den Orchestern gibt es solche Vorreiter. Das Beethoven-Orchester in Bonn ist zum Beispiel Klimabotschafter der UN. Orchester wie die Dresdner Philharmonie, die Kammerphilharmonie Potsdam oder das Stuttgarter Kammerorchester sind genauso wie das „Orchester des Wandels“ aus Bremen als Nachhaltigkeits-Pionierinnen- und Pioniere schon länger auf dem Weg und leisten tolle Arbeit.
Und viele von ihnen, von diesen Pionierinnen und Pionieren sind heute hier in Leipzig – um sich auszutauschen, um voneinander zu lernen, um Themen und Fragen anzusprechen, die ihnen wichtig sind. Um bei der Transformation erfolgreich zu sein, müssen wir alle Konflikte und mögliche Interessengegensätze ansprechen können – auch dafür ist eine Tagung wie unsere Green-Culture-Konferenz da! Ein so großer Veränderungsprozess kann nicht geräuschlos funktionieren, das ist mir klar. Und das will ich auch nicht. Trauen Sie sich, unterschiedliche Sichtweisen, Meinungen und Erfahrungen vorzutragen – und diese auszuhalten.
Die wichtigste Prämisse dabei ist: Kunst und Kultur sind frei! Ich muss das immer wieder sagen, weil mir manchmal unterstellt wird, ich wolle sie instrumentalisieren. Aber das Gegenteil ist der Fall: Bei Maßnahmen zur Begrenzung der Klimakrise geht es ja gerade nicht um spezifische Interessen von mir, von bestimmten Gesellschaftsgruppen oder einem gewissen Klientel: Es geht schlicht um eine Überlebensfrage, die uns als Menschen alle und zwar alle gleichermaßen angeht. Und auch das ist kein grünes Hirngespinst. Das Bundesverfassungsgericht hat klipp und klar festgestellt, dass wir heute die Verpflichtung haben, das Klima zu schützen, um eben die Freiheits- und Grundrechte von morgen nicht zu beeinträchtigen. Das ist unser Auftrag, unsere Verpflichtung und unsere Verantwortung als Politik. Für mich als Kulturstaatsministerin bedeutet das: Wir müssen die Rahmenbedingungen dafür schaffen, damit Kunst und Kultur nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft frei sein können. Damit sie ihr innovatives und kreatives Potential freisetzen können. Aber dafür müssen wir eben jetzt handeln, müssen Kunst und Kultur nachhaltig und resilient aufstellen. Müssen unser Denken anpassen, müssen Produktionsweisen, die Betriebsökologie, die Stoffflüsse zukunftsgerecht gestalten.
Wir finanzieren seit September dafür die Anlaufstelle „Green Culture“. Sie soll bei der Transformation eine zentrale Rolle spielen, soll Kompetenzen bündeln, Wissen zugänglich machen und weitere Beratungsangebote schaffen. Und ich bin wirklich froh, dass wir sie jetzt haben. Und dass sie heute auch schon dabei ist: herzlich Willkommen in neuer Funktion, Jakob Bilabel und Team.
Die Anlaufstelle soll – wie unser Referat für „Kultur und Nachhaltigkeit“ – Impulsgeberin für einen großen und produktiven Transformationsprozess sein. Ein Prozess, in dem wir gemeinsam mit vielen Akteurinnen und Akteuren – auch aus den Ländern und Kommunen, den Dachverbänden und der Zivilgesellschaft – Lösungen suchen, in dem wir bessere Rahmenbedingungen schaffen und Modellvorhaben fördern. Erst vor kurzem, beim letzten Kulturpolitischen Spitzengespräch mit den Ländern, konnten wir den CO2-Klimabilanzierungsstandard vorstellen, den wir gemeinsam erarbeitet haben. Im Filmbereich haben wir das Megathema „Green Shooting“ vorangebracht. Seit März 2023 ist die Einhaltung ökologischer Standards Voraussetzung für eine Filmförderung durch den Bund. Der Deutsche Museumsbund hat im Mai Vorschläge für ökologische Mindeststandards für Museen vorgelegt. Und wir haben die Pläne für das Museum der Moderne, Berlin Modern, auf neue, auf nachhaltige Beine gestellt, mit einem gelungenen Relaunch in Zusammenarbeit mit Doktor Dirk Messer, dem Präsidenten des Umweltbundesamts. Ich könnte noch weitere Beispiele aufzählen, die zeigen, dass wir vorankommen. Aber klar ist: Unsere Bemühungen sind noch nicht am Ende. Sie können noch nicht am Ende sein.
Heute will ich denen danken, die ihn schon ganz aktiv mitgestalten: Allen voran unseren Partnern – der Oper Leipzig mit ihrem visionären Intendanten Tobias Wolff und seinem fantastischen Team, die die Konferenz mit uns zusammen gestaltet haben; dem Gewandhaus zu Leipzig mit seinem Direktor Professor Andreas Schulz und der Stadt Leipzig mit ihrer Kulturbürgermeisterin Doktor Skadi Jennicke, die uns sehr unterstützt hat. Und natürlich will ich bei der Gelegenheit auch den Verbänden der Theater- und Orchesterlandschaft in Deutschland danken. Sie alle haben das Thema auf der Agenda und bringen sich engagiert ein. Das brauchen wir.
Lassen Sie uns gemeinsam für eine klimagerechte und resiliente Kultur kämpfen, für eine Kultur der Zukunft, die sich einbringt, einmischt und immer wieder neu erfindet. Erlauben Sie mir, Brecht in diesem Sinne umzudichten: „Unsere Hoffnung heute ist die Kultur!“