Kunst ist eine Möglichkeit, alles anders zu denken. Der Satz wird Gerhard Richter zugeschrieben. Und er passt zu ihm. Richter hat reichlich Gebrauch davon gemacht, Dinge anders zu denken, sich an neuen Stoffen, neuen Stilen, neuen Medien zu versuchen.
Heute ist er kommerziell so erfolgreich wie kein zweiter deutscher Künstler und der klassischen Zielgruppe der Künstlersozialkasse längst entwachsen. Warum gehört er dennoch hierher? Weil er zugleich der schlagende Beweis für die Notwendigkeit ihrer Existenz ist.
Anfang der 60er Jahre etablierte Richter gemeinsam mit Konrad Lueg, Sigmar Polke und Manfred Kuttner den Begriff „Kapitalistischer Realismus“. Überblickt man seinen Werdegang vom armen Kunststudenten zum teuersten lebenden Künstler, könnte man meinen, es handele sich dabei um einen erfolgreichen Businessplan.
Tatsächlich war „Kapitalistischer Realismus“ der ironische Titel einer Selbsthilfeaktion von Künstlern, die nach Möglichkeiten suchten, ihre Kunst auszustellen – neue, widerständige, noch zu entdeckende Kunst, gegen die sich die Kunstakademien, Museen und Galerien Anfang der 60er Jahre sträubten und selbstverständlich Kunst, mit der es – noch – kein Geld zu verdienen gab. Kunst ist kreativ, doch sie kennt weder Businesspläne noch einen Königsweg zum wirtschaftlichen Erfolg. Auch ein Gerhard Richter hat einmal von der Hand in den Mund gelebt und die Lage der Mehrheit aller Freischaffenden in der Kulturbranche bleibt prekär.
Kreativität ist die Antriebskraft menschlicher Gesellschaften, in allen ihren Bereichen. Doch wird ihr Wert nicht allen gesellschaftlichen Bereichen gleich bemessen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder Maschinenbauerinnen und Maschinenbauer können mit einer deutlich besseren Vergütung ihrer Kreativität rechnen, als Bühnenbildnerinnen und Bühnenbildner oder Künstlerinnen und Künstler. Ausnahmen wie Gerhard Richter bestätigen die Regel. Weil aber nicht nur Künstlerinnen und Künstler ihre Kunst brauchen, sondern wir alle, weil Kunst eine gesellschaftliche Notwendigkeit ist, weil wir nicht vom Brot allein und Künstlerinnen und Künstler in ihrem Schaffen nicht vom kommerziellen Erfolg ihrer Kunst abhängig sein sollen, gibt es die KSK.
Sie trägt den marktwirtschaftlichen Bedingungen Rechnung, unter denen die Kunst entsteht, sorgt dafür, dass Künstlerinnen und Künstler frei und nach eigenen Vorstellungen wirken können und dennoch die Möglichkeit einer sozialen Absicherung haben. Die KSK hat damit einen großen Anteil an einer kreativen, vielfältigen Kultur und damit am Gelingen unserer demokratischen Gesellschaft. 40 Jahre sind ein gutes Alter, und ich freue mich wirklich sehr, dass ich diese Wegmarke einer einzigartigen sozial- und kulturpolitischen Errungenschaft gemeinsam mit Ihnen feiern kann.
Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der KSK und besonders Herrn Fritz dafür, dass sie konstruktiv mit uns ins Gespräch gekommen sind, um Wege zu finden, ukrainische Geflüchtete und Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Förderprogramme zügig in die KSK einzubeziehen.
Ich habe auch dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und explizit Hubertus Heil zu danken. Um für die Beschäftigten in der Kulturbranche ebenso wie für Künstlerinnen und Künstler eine tragfähige soziale Absicherung gewährleisten zu können, sind wir auf die Zusammenarbeit mit dem BMAS angewiesen.
Ich glaube, es gibt wenige Aufgaben, die komplexer sind, als die unterschiedlichsten Arbeitswelten von Künstlerinnen und Künstlern und Kulturschaffenden mit dem deutschen Sozialversicherungsrecht zu vereinbaren. Und doch haben BMAS und mein Haus den gemeinsamen Nenner und immer wieder auch Lösungen gefunden.
Wie wichtig das ist, hat uns nicht erst die Pandemie vor Augen geführt. Aber die soziale Lage von Kulturschaffenden bleibt fragil. Das Durchschnittseinkommen der in der KSK Versicherten aus künstlerischer und publizistischer Tätigkeit liegt zwischen 1.200 und 1.900 Euro im Monat. Alleinlebende mit einem Monatseinkommen von 1.250 Euro gelten in Deutschland als akut armutsgefährdet.
Für mein Haus und das BMAS bleibt es deshalb auch ein dauerhafter Auftrag, zu prüfen, welche sozialen Rahmenbedingungen nötig sind, um künstlerisches Schaffen abzusichern – und damit der Kultur die Freiheit zu ermöglichen, die eine demokratische Gesellschaft braucht. Eine Kultur, in der Künstlerinnen und Künstler kritisch, auch unbequem sein dürfen. Denn wir brauchen Künstlerinnen und Künstler, die sich nicht in Abhängigkeit begeben müssen, um existieren zu können. In der Lebenswirklichkeit freischaffender Kreativer spielt die KSK eine große Rolle. Viele empfinden sie als Geschenk, als wertvolle Unterstützung ihrer künstlerischen Tätigkeit. Wir würden der Idee der KSK aber nicht gerecht werden, wenn wir glaubten, ihre bloße Existenz habe alle sozialen Fragen von Kulturschaffenden beantwortet. Für eine Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage von Kreativen sind soziale Sicherungssysteme wichtig, aber auch die Rahmenbedingungen insgesamt müssen fair ausgestaltet sein – und das betrifft viele Regelungsbereiche.
Mein Haus arbeitet in diesen Bereichen nicht nur mit dem BMAS, sondern auch eng mit dem BMWK zusammen. Gemeinsam haben wir nun eine „Studie zur wirtschaftlichen und sozialen Lage von Soloselbständigen und hybrid Erwerbstätigen in der Kultur- und Kreativwirtschaft, dem öffentlichen Kulturbetrieb und Kulturberufen in Deutschland“ in Auftrag gegeben. Der Anteil der Soloselbstständigen ist im Kultur- und Kreativbereich überproportional groß. Gleichzeitig sind die absoluten Einkünfte häufig unterdurchschnittlich gering und die soziale Absicherung schwierig. Detaillierte Zahlen fehlen uns aber bisher. Das wollen wir ändern.
Ziel der Studie ist deshalb die Gewinnung der bislang fehlenden Datengrundlage, mit deren Hilfe wir Probleme und Handlungsbedarfe zielgenauer identifizieren und vor allem statistisch untermauern können. Einen Finanzminister beeindruckt nicht allein die ausgestreckte Hand. Er braucht Zahlen, wenn er gemeinsam mit uns die Rahmenbedingungen der sozialen und wirtschaftlichen Absicherung für Soloselbstständige verbessern soll.
Oft stellt schlicht auch die geringe Höhe der erzielbaren Einkünfte die Betroffenen vor Probleme. Deshalb wollen wir Mindesthonorare in die Förderrichtlinien des Bundes aufnehmen, um so die wirtschaftliche Lage freischaffender Künstlerinnen, Künstler und Kreativer zu verbessern. Professionelle und qualifizierte Kultur- und Kreativarbeit sollte in jedem Beschäftigungskontext - ob angestellt oder freischaffend - angemessen entlohnt werden.
Einige unserer Förderrichtlinien sind schon jetzt an die Einhaltung von Mindesthonoraren geknüpft. Es müssen aber noch deutlich mehr werden. Hiermit wollen wir auch ein Signal jenseits der öffentlichen Kulturförderung setzen: die Leistungen von Künstlerinnen und Künstlern und Kulturschaffenden kann es nicht zum Nulltarif geben. Auch sie leben nicht von Luft und Applaus allein. Um das Auskommen von Künstlerinnen und Künstlern und gleichzeitig die Vielfalt in der Kulturbranche zu sichern, müssen wir aber auch die nach Pandemie und stark gestiegenen Energiepreisen angespannte Finanzsituation vieler Auftraggeber im Blick behalten.
Das betrifft nicht zuletzt auch von der öffentlichen Hand geförderte Einrichtungen und Projekte. Wer sich für Kreative einsetzen will, muss auch für ein faires und starkes Urheberrecht streiten. Die Fragen des Urheberrechtsschutzes und dessen Durchsetzung in einer modernen, in einer sich stets verändernden digitalen Welt ist eine enorme Herausforderung. Künstliche Intelligenz und ihre Möglichkeiten stellt uns bereits jetzt vor viele neue Fragen. Was wir dagegen längst wissen, ist, dass ein starkes Urheberrecht dazu beitragen kann, dass Kreative von ihrer Arbeit leben können. Ein prominentes Beispiel, an dem diese Problematik deutlich wird, ist das Musik-Streaming.
Das Ziel ist dabei klar: Die Einnahmen aus Streaming-Angeboten sollten transparent und gerecht verteilt werden, damit insbesondere die Künstlerinnen und Künstler und die Musikautorinnen und Musikautoren angemessen partizipieren können. Aber auch hier fehlte es bisher schlicht noch an einer Datengrundlage, an belastbaren Zahlen, die Politik und Verwaltung brauchen, um die Situation richtig einschätzen zu können. Mit der ergebnisoffenen Studie, die wir fördern, werden erstmals wissenschaftlich erhobene, valide und damit bewertbare Information vorliegen. Daten, aus denen dann auch Handlungsempfehlungen abgeleitet werden sollen.
Die Herausforderungen, die vor uns stehen, sind aber nicht nur Zukunftsmusik. Manchmal sind es sehr alte und bekannte Themen, die uns immer wieder einholen und beschäftigen. Der Deutsche Kulturrat wird in Kürze seinen neuen Datenreport zur sozialen und wirtschaftlichen Lage unter dem Titel „Baustelle Geschlechtergerechtigkeit“ vorlegen. Wer das Bild von der Baustelle bemühen will, darf die der Geschlechtergerechtigkeit gern mit dem Berliner Flughafen vergleichen.
Geht es um die Gleichwertigkeit von Gehältern und Honoraren, kommen wir auch in der Kulturbranche seit Jahrzehnten kaum voran. Im Fall der Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist es gar eine dem Gesetzgeber vom Grundgesetz aufgetragene Pflicht. Laut der neuen DKR-Untersuchung liegt der Gender-Pay-Gap in Kunst und Kultur 2023 durchschnittlich bei 20 Prozent, während er in der Gesamtwirtschaft 18 Prozent beträgt. Geschlechtsspezifische Benachteiligungen in Kunst und Kultur sind: die unterschiedliche Entlohnung der abhängig Beschäftigten, die großen Unterschiede bei der Honorierung der Selbständigen, ihre weit verbreitete Unterrepräsentation in Führungspositionen, die vor allem von Frauen wahrgenommene Elternzeit beziehungsweise Care-Arbeit. Besonders erschüttert hat mich der Befund, dass bei den KSK-Versicherten der Gender-Pay-Gap in der Altersgruppe Unter 30 über alle kulturellen Berufsgruppen hinweg im Jahr 2023 deutlich über dem Gender-Pay-Gap von vor zehn Jahren liegt. Das ist eine verheerende Erkenntnis! Dass ausgerechnet die jüngste Generation freiberuflich erwerbstätiger Frauen heute von einer eklatanten Honorardiskriminierung betroffen ist, nachdem der Gender-Pay-Gap sukzessive abgebaut wurde, muss uns alarmieren.
Das von meinem Haus geförderte Mentoring-Programm für weibliche Führungskräfte soll dazu beitragen, dass mehr Frauen Führungsverantwortung übernehmen und eine ihrer Qualifikation entsprechende Vergütung erhalten. Tarifabschlüsse und Mindesthonorare können helfen, denn die Studie zeigt auch, dass der Gender-Pay-Gap da geringer ausfällt, wo es Tarifabschlüsse gibt, beispielsweise im öffentlichen Dienst. Es liegt jedenfalls noch ein weiter Weg vor uns, bis wir die Gleichstellung der Geschlechter in Kultur und Medien erreichen.
Ich möchte aber, dass wir dieses Ziel nicht aus dem Auge verlieren. Es gibt also für die kommenden 40 Jahre genug zu tun, um die soziale und wirtschaftliche Lage der Kulturschaffenden zu verbessern. Die KSK wird dabei auch in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen. Unsere Aufgabe bleibt, sie dabei zu unterstützen. Ich kann mir keine lohnendere Aufgabe vorstellen, als die Voraussetzung einer lebendigen demokratischen Kultur zu fördern – ihre Kreativen.