- Es gilt das gesprochene Wort -
Welch ein perfekter Ort, um das Caspar David Friedrich Jahr zu eröffnen!
Hier in Greifswald wurde er geboren, hier im Dom getauft. Das Religiöse, die Sakralbauten, sie waren auch in seinem weiteren Leben und in seiner Kunst immer ein bestimmendes Element. Und es war nicht umsonst ein Altarbild von Friedrich, an dem ein ganzer Kunst-Streit entbrannte. Ein Streit, der exemplarisch steht für das Neue in Caspar David Friedrichs Kunst und für die Angst des Establishments vor dem, was sie mit sich brachte. Ein Kritiker schrieb über den Tetschener Altar, den Friedrich 1808 in Dresden nur widerwillig in seiner Privatwohnung ausstellte, er verletze alle Regeln der Kunst. Er raube der Malerei ihre Vorzüge, er führe quasi direkt in die Barbarei. Mit seinem Werk, das eigentlich ein Landschaftsbild ist, mache Friedrich „das Geheimnis, Emotionen bei dem großen Haufen zu erwecken, zur gefährlichen Charlatanerie.“ Friedrich antwortete ihm selbstbewusst, er wolle sich nicht der „Krücken der Kunst“ bedienen, sondern auf eigenen Füßen gehen.
Und tatsächlich war Caspar David Friedrich nicht immer „Everybody's Darling“ wie man es heute von diesem Superstar der Kunstgeschichte denken könnte. Er hat mit seiner Kunst angeeckt. Und das vor allem, weil er sich einfach nicht an die klassischen, an die althergebrachten Regeln halten wollte – egal, ob es die Farben, den Ausschnitt, den Aufbau oder eben besagte Naturnähe betraf. Und weil sein Hang zum Mystischen und Religiösen, zum Nächtlichen und Nebulösen zusätzlich das aufgeklärte Bürgertum irritierte – unter anderem ja auch Goethe, wie Florian Illies es wunderbar anschaulich beschreibt.
Mit dieser neuen Kunst also macht sich Friedrich einen Namen und wirkt prägend mit an der Geburt der Romantik. Das ist der Grund, warum wir uns internationaler Aufmerksamkeit gewiss sein dürfen, wenn wir in diesem Jahr seinen 250. Geburtstag feiern. Weltweit fasziniert die Epoche der Romantik Menschen auch heute noch. Und wie kaum eine andere Kunstepoche wird sie mit Deutschland verbunden. Der Weg zu ihr war geprägt von großen gesellschaftlichen Umbrüchen und mündete in mehr Gefühl, mehr individuellem Erleben und mehr Leidenschaft und einer unendlichen Sehnsucht - aber auch, quasi als Kehrseite, in Nationalismus und Irrationalität, die Goethe scharf kritisierte. Fest steht: Die Romantik hat unser visuelles Gedächtnis, unser „Erleben“ von Kunst, tief geprägt und daran hat Caspar David Friedrich einen riesengroßen Anteil.
Einen großen Anteil hat er auch daran, dass das heutige Mecklenburg-Vorpommern einen festen und prominenten Platz in der Kunstgeschichte hat. Die Ihnen vertrauten Gemälde haben die Landschaftsikonen Mecklenburg-Vorpommerns in der Welt bekannt gemacht, die Klosterruine, die Kreidefelsen auf Rügen und nicht zuletzt die vertraute Silhouette der Stadt Greifswald. Die Landschaften des Nordens ließen Friedrich zeitlebens nicht los, hier entwickelte er sich zum herausragenden Maler von Licht und von Atmosphäre. Das Programm hier in Greifswald kündigt über 200 Veranstaltungen in einem Dreiklang von biografischen Orten, Originalgemälden und Inspirationsquellen an. Danke von Herzen an Oberbürgermeister Stefan Fassbinder und sein Team für die Realisierung dieses ambitionierten, dieses spannenden Vorhabens. Besonders freut es mich, und ich glaube, Sie auch ganz besonders, dass die „Kreidefelsen“ anlässlich des Jubiläumsjahres zum allerersten Mal in Mecklenburg-Vorpommern zu sehen sein werden. Das Pommersche Landesmuseum holt sie und die Themen des Romantikers in das Hier und Jetzt. Ich möchte deshalb auch dem Landesmuseum danken, das sich mit drei Sonderausstellungen in besonderer Weise um Caspar David Friedrich und sein Erbe verdient macht. Der Baubeginn der „Galerie der Romantik“ steht unmittelbar bevor. Der Bund finanziert den Um- und Neubau mit dem Ziel, Greifswald dauerhaft zur Caspar-David-Friedrich-Stadt und das Landesmuseum zum kulturellen Leuchtturm der Romantik im Norden zu machen. Ein Leuchtturm, der weit über den hohen Norden strahlen wird, und das sage ich, aus dem tiefen Süden kommend.
Das Caspar-David-Friedrich-Jubiläumsjahr 2024 feiern wir aber nicht nur hier in Greifswald. Es ist ja schon gesagt worden, es wird überall gefeiert. In Hamburg, in Weimar und es ist natürlich schon ziemlich cool, wenn ich das so sagen darf, dass es auch in New York, im Metropolitan Museum of Art, seinen Platz finden wird. In Berlin wird zum Beispiel an die wichtige Rolle der Nationalgalerie bei der Wiederentdeckung Friedrichs zu Beginn des 20. Jahrhunderts erinnert. Aus heutiger Sicht ist es eigentlich unvorstellbar: Der Maler war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahezu in Vergessenheit geraten. Erst die legendäre „Deutsche Jahrhundertausstellung“ 1906 hat den Künstler wieder ins Gedächtnis der Deutschen und der Kunstwelt gerufen. Aber es verwundert nicht, dass er während der Industrialisierung vergessen und erst wiederentdeckt wurde, als vieles, was noch kurz zuvor als Fortschritt galt, kritisch hinterfragt wurde - auch was Ausbeutung der Umwelt und die Entfremdung des Menschen von der Natur betraf.
Man könnte sagen: Wir stehen heute an einem sehr ähnlichen Punkt. Die Digitalisierung stellt unsere Lebens- und Arbeitsgewohnheiten auf den Prüfstand, Konflikte, Krieg, Gewalt prägen unsere Zeit, nehmen uns Sicherheit, und die Klimakrise offenbart die akute Bedrohung unserer Erde durch menschliches Handeln. In diesen unsicheren, krisengeschüttelten Zeiten haben wir nur eine Gewissheit: Einfache Lösungen gibt es nicht. Was könnte uns also gelegener kommen als ein Maler, der über sein Wirken sagte: „Die Kunst tritt als Mittlerin zwischen die Natur und den Menschen.“ Auch wenn seine berühmten Bildmotive vielfach idealisiert und erfunden – Friedrich würde natürlich sagen: empfunden - sind: Caspar David Friedrich zu sehen, bedeutet für mich, die Einzigartigkeit und Verletzlichkeit der Natur konkret zu empfinden. Und daraus gleichzeitig Kraft zu ziehen, sie zu schützen und in ihrer einzigartigen Schönheit und Erhabenheit den nachfolgenden Generationen zu erhalten.
Es sind aber nicht nur die Naturvisionen alleine, die uns bis heute beeindrucken und den Bildern den großen Ruhm verschaffen. Es ist auch diese besondere Eigenschaft der Kunst Friedrichs (und vielleicht der Kunst der Romantik im Allgemeinen), die uns dazu einlädt, der urbanen Wirklichkeit um uns herum für eine gewisse Zeit zu entschwinden. Mich persönlich bewegt das Bild „Eismeer“ von ihm ganz besonders. Es wühlt mich auf. Friedrich hat genau diese Kraft, mich und uns regelrecht in seine Bilder hineinzuziehen. Mit dem Trick, ich glaube, es war ein ganz genialer Trick der Brückenansicht, blicken wir mit dem Wanderer über das Nebelmeer, mit dem Mönch aufs Meer, mit der Frau aus dem Fenster oder mit der Ausflugsgesellschaft vom Kreidefelsen. Gerade in Krisenzeiten kann Kunst uns Menschen so helfen, Zuflucht und Trost zu finden. Und genau diese Räume brauchen wir. Wir brauchen sie dringend. Räume jenseits der Alltagssorgen. Und Caspar David Friedrich gibt sie uns.
Der boshafte Kritiker seines am Anfang erwähnten Altars wollte diesen Erfolg Caspar David Friedrichs nicht. Er schrieb, es sei eine Anmaßung, wenn sich Friedrichs Landschaftsmalerei „in die Kirche schleichen und auf Altäre kriechen will.“ Heute können wir sagen: Gut, sehr gut, dass Friedrich mit seiner Kunst nicht nur in die Kirchen und auf die Altäre, sondern die Malerei an sich verändern wollte. Er hat die gesamte Kunstwelt damit nachhaltig verändert. Und er hat einen wunderbaren Ort in Greifswald, an dem er jetzt die nächsten Monate gewürdigt wird, gefeiert wird. Und das wird ein nachhaltiges Feiern sein.